Olympia-Blog

Allez, DSB!

Behind the scenes

DSB-Pressereferent Thilo von Hagen ist bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 live vor Ort und berichtet von den Wettkämpfen aus Chateauroux (Sportschießen) und Paris (Bogenschießen). Was er abseits der Wettkämpfe auf seiner Olympiareise – es sind nach Rio 2016 seine zweiten Olympischen Spiele als Berichterstatter – erlebt, schreibt er in unregelmäßigen Abständen in dieser lockeren Kolumne „Allez, DSB!“

Tag 14 - 05.08.2024: Meine Bilanz!

Irgendwie war der letzte Wettkampftag der DSB-Athleten in Paris 2024 symptomatisch: Unsere Schützen sind absolute Weltklasse und waren z.T. ganz dicht dran am Finale oder gar einer Medaille. Nur die Belohnung in Form einer Medaille holten sie sich leider nur einmal.

Ich hätte liebend gerne mehr über Glänzendes um den Hals berichtet als von den Tränen, die in zahlreichen Augen (nicht nur unserer) der Athleten schimmerten. Aber so ist der Sport: Nicht berechenbar, immer für Drehungen und Wendungen gut, es sei denn, man kommt aus Korea und schießt mit Pfeil und Bogen…

Für mich enden knapp zwei Wochen bei unseren französischen Nachbarn. Ich habe tolle Wettkampfstätten, z.B. die Bogen-Arena, das Beachvolleyball-Stadion oder Roland Garros, sehen dürfen. Es waren packende Wettkämpfe in einer stets grandiosen Atmosphäre. Der olympische Sport lebt und ich auch noch trotz aller Anstrengungen, die solch ein Großereignis mit sich bringt, wie meine persönliche Bilanz zeigt.

Meine Bilanz der 13 Tage

  • 1 Silbermedaille (eigentlich ja zwei)
  • 2 tolle Kollegen, die mich aus Wiesbaden unterstützt haben. Danke, Nadine und Alex!
  • 3 Besuche im ISSF House
  • 6 Stunden Schlaf im Schnitt
  • 8 Stunden An- und Abreise
  • 15 Bier (geschätzt), das teuerste für 13 Euro in einem Café am Eiffelturm
  • 17 tolle DSB-Athleten, die alles für ihren Sport geben
  • 30 kleine Baguettes (geschätzt)
  • Begeisterte Zuschauer überall
  • Superfreundliche und hilfsbereite Volunteers und Mitarbeiter
  • Vorfreude auf einige Olympia-Wettbewerbe vor dem TV ohne Stress
  • Vorfreude auf Deutschland und die Familie

Paris 2024 ist für mich vorbei, ich sage ein letztes Mal: Allez, DSB! In vier Jahren wird daraus wohl ein Let´s go, DSB – aber bis dahin vergeht noch einige Zeit. Au revoir!

Tag 13 - 04.08.2024: Ich habe einen Traum

Ich habe den Traum, dass die Olympischen Spiele Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben. Auf den Umgang miteinander. Wie sich die Athleten in den verschiedensten Sportarten bei aller Rivalität mit Respekt begegnen, ist sehenswert. Beispielhaft sehe ich den Judosport, der eh schon von Demut und Respekt geprägt ist und bei dem sich Athleten minutenlang bekämpfen, um sich dann friedlich, schiedlich voneinander zu verabschieden. Und auch der Bogensport ist in dieser Hinsicht ein Vorbild. Kaum hat der letzte Pfeil die Entscheidung gebracht, gehen die Athleten und Trainer aufeinander zu, umarmen sich, gratulieren und bedanken sich für das Mit- und Gegeneinander.

Ich habe den Traum, dass sich die Begeisterung und Leidenschaft der Sportler auf uns und vor allem unsere Kinder überträgt. Wie sich die Serben Zorana Arunovic und Damir Mikec über den Boden wälzten und sich über Gold im Luftpistolen Mixed freuten oder wie die Französin Lisa Barbelin nach dem Gewinn der Bronzemedaille vor Freude fast zusammenbrach, waren Bilder, die sich einbrannten. Und vor allem auch in „unseren“ Sportarten, die oftmals als emotionslos gelten.

Ich habe den Traum, dass die Begeisterung der (französischen) Zuschauer für den olympischen Sport auch zu uns überschwappt. Wie die Massen – auch bei TV-Randsportarten – ihre Sportlerinnen und Sportler anfeuerten, ohne unfair gegenüber den Athleten der anderen Nationen zu sein, macht einfach Spaß.

Ich habe den Traum, dass die mediale Berichterstattung auch zukünftig das ganze Sportspektrum abdeckt. Nur alle vier Jahre Bilder von Schwimmern, Turnern, Volleyballern oder Bogen- und Sportschützen zu sehen, wird dem Sport und seinen Protagonisten nicht gerecht, die für ihre Leidenschaft alles (auf-)geben. Der Sport ist weitaus mehr als „König Fußball“, und die Medien haben die Aufgabe, die Schönheit des Sports in seiner Gesamtheit zu zeigen.

Ich habe den Traum, dass in irgendeiner fernen Zukunft ähnliche Bilder aus Berlin, München, Hamburg oder NRW zu sehen sind. Deutschland sollte den Mut haben, Olympische Spiele auszurichten, die Bevölkerung sollte die Vorteile und nicht immer die negativen Seiten sehen. Ich träume auf jeden Fall weiter! Allez, DSB!

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Tag 12 - 03.08.2024: Schützenfamilie!

Es ist ja immer die Rede von der großen Schützenfamilie. Allein im DSB sind knapp 1,3 Millionen Schützinnen und Schützen organisiert. Dass die nicht alle in Paris und/oder Chateauroux vor Ort sind, ist klar und auch gut so. Da würde es doch (Sitzplatz-)Probleme geben, denn die Tickets für beide Arenen sind nur schwer zu ergattern.

Einige haben sich dann aber doch auf den Weg gemacht, um die deutschen Athleten zu unterstützen. Natürlich Familienangehörige, aber auch Weggefährten, Teamkollegen und Konkurrenten. Die Pistolen-Fraktion ist 270 Kilometer entfernt von Paris stark vertreten. Sandra Reitz, die Ehefrau von Christian Reitz und ebenfalls Spitzenschützin, hat ein Haus angemietet, in dem sie einige wohlbekannte Gesichter um sich versammelt hat: Monika Karsch, Svenja Berge und Andrea Heckner z.B. Und Ex-Bundestrainerin Barbara Georgi hat es sich auch nicht nehmen lassen, ihre „Ehemaligen“ anzufeuern.

Am Bogenstadion lief mir Clea Reisenweber in die Arme, am Flintenstand sind viele Mitglieder des SSC Schale vertreten, aus dem Gewehrlager ist – natürlich – Franka Janßen, die Zwillingsschwester von Anna, da, aber auch Hannah Wehren: „Wir machen hier Urlaub. Wir waren erst in Paris, dann waren wir drei Tage hier, und dann geht es noch ans Meer. Das lassen wir uns kurz vor der Haustür nicht entgehen. Ich bin mit Anna befreundet, und sie hier zu supporten, ist selbstverständlich.“ Richtig so!

Und bei all der Unterstützung vor Ort, der „Rest“ der Schützenfamilie ist sicherlich vor den Bildschirmen versammelt, muss es doch einfach klappen. Daumen drücken und Allez, DSB!

Tag 11 - 02.08.2024: Superstars!

Es passiert nicht oft, dass Sportschützen das Interesse der breiten Öffentlichkeit erregen. Natürlich, bei Olympischen Spielen ist das Aufmerksamkeits-Level eh schon höher aufgrund der Bedeutung des alle vier Jahre stattfindenden Mega-Events. Dann haben es auch kleinere Sportarten, ich nenne sie TV-Randsportarten, eine Chance, ins Rampenlicht vorzustoßen.

Und das gelang zwei Sportschützen in Chateauroux zweifelsohne: Zum einen dem Türken Yusuf Dikec, der an der Seite von Sevval Ilayda Tarhan Silber im Luftpistolen Mixed gewann. Das war natürlich nicht der Grund für den Hype um ihn, sondern vielmehr die Art seines Auftretens: Der 51-Jährige stand da in seinem weißen Türkei-Shirt, hatte eine normale, eckige Brille auf der Nase und die linke Hand locker in der Hosentasche. Also kein Schnickschnack mit „Micky Mäusen“ auf den Ohren, Blende vor dem Auge etc. Diverse Memes gingen um die Welt, etwa mit Zigarette im Mund oder Dikec Seite an Seite mit Samuel L. Jackson und John Travolta in Pulp Fiction und wurden millionenfach (!) geklickt.

Eine andere tolle Geschichte ist die von Adriana Ruano Oliva. Zum einen schrieb sie Sportgeschichte, weil sie Guatemalas erstes Gold bei Olympischen Spielen gewann (auch noch mit olympischem Rekord) und überhaupt die erste olympische Medaille einer Frau aus diesem kleinen Land. Zum anderen war sie 2016 noch als Volunteer in Rio de Janeiro am Start. Also quasi von der „Tellerwäscherin zur Millionärin“, unglaublich!

Weshalb ich das schreibe? Es sind Dinge, die vorher nicht absehbar sind oder waren, die aber zeigen, dass nichts unmöglich ist. Das gilt auch für die DSB-Athleten, die sich hoffentlich noch für ihren großen Aufwand belohnen. Denn für mich sind alle Sportlerinnen und Sportler, die es zu den Olympischen Spielen schaffen Superstars. Sie zählen unter den knapp über acht Milliarden Menschen zu den wenigen Auserkorenen, die es hierhin geschafft haben. Das muss man sich immer mal wieder vor Augen führen. Allez, DSB!

Tag 10 - 01.08.2024: Eine haarige Angelegenheit

Jetzt reicht´s! Nachdem auch Anna Janßen und Jolyn Beer knapp das Finale verpasst haben und die Chance auf die erste DSB-Medaille zunichte gemacht wurde, habe ich mich zu drastischeren Maßnahmen entschieden.

Die Anregung kam von Florian Peter. Der Schnellfeuerschütze erreichte gestern Abend mit Bundestrainer Detlef Glenz per Auto Chateauroux und lief mir heute Vormittag über den Weg. Mit einem zotteligen Bart im Gesicht, weil er das mal ausprobieren wollte.

Und da habe ich mir gedacht: Das mache ich jetzt auch, ganz nach dem Motto: Wer rasiert, verliert (natürlich ohne Rücksprache mit meiner Frau…)! Und liege damit in Schützenkreisen gar nicht so schlecht, denn meines Wissens ließ auch Skeet-Bundestrainer seine Haarpracht im Gesicht sprießen, bis der Quotenplatz bei den Männern gesichert war. Das geschah auf den letzten Drücker, dementsprechend zottelig war das Gestrüpp. Mittlerweile ist der Bart bei Krämer gestutzt, er (und vielleicht auch seine Frau?) haben offenbar Gefallen an der haarigen Angelegenheit gefunden.

Das wird bei mir nicht passieren, darauf gebe ich meinen Rasierschaum und die Klinge. Aber das ein oder andere Finale und natürlich auch eine Medaille würde ich schon noch gerne verarbeiten. Schließlich ist der Drops noch nicht gelutscht und hinten kackt die Ente. Allez, DSB!

Tag 9 - 31.07.2024: Allez, les bleus!

Der Schlachtruf der Franzosen ist in ganz Frankreich bei allen Wettkämpfen zu hören. Ob beim Beach-Volleyball, Handball, Tischtennis oder auch beim Bogenschießen. Die Begeisterung der französischen Fans für ihre Lieblinge ist nicht nur spürbar, sondern vor allem akustisch wahrnehmbar.

Der Startschuss dafür war womöglich die imposante Eröffnungsfeier: „Ich bin so stolz auf mein Land“, sagte mir ein weiblicher Volunteer, und meine nette Hotel-Rezeptionisten bekannte danach total ergriffen: „Ich bin stolz, Französin zu sein!“

Dieser Nationalstolz kommt jedoch keinesfalls chauvinistisch oder negativ daher. Es ist positive Energie, die die Anfeuerungsrufe den Athleten der grande Nation nach vorne peitschen sollen. Und das klappt bislang vorzüglich: Die Sportlerinnen und Sportler des Gastgebers überzeugen bislang, liegen im Medaillenranking nach vier Wettkampftagen auf einem hervorragenden vierten Platz mit 18 Medaillen (5x Gold, 9x Silber, 4x Bronze) – keine Frage: Frankreich ist eine Sportnation.

Und das gilt eigentlich auch für Deutschland, weshalb sich mir im gleichen Zug die Frage stellt: Wären Olympische Spiele in Deutschland nicht auch gut? Die Begeisterung und Euphorie der deutschen Zuschauer, aber auch deren Fairness, habe ich bereits bei diversen Großereignissen kennengelernt und erlebt. Der Zusammenhalt in der Nation wächst, und der Sport – und vor allem auch der olympische Sport – bekommt einen Schub. Ich bin deshalb absolut dafür!

Und meinte sogar beim Bogenschießen die Sympathien für Deutschland und unsere DSB-Sportler herauszuhören. Denn mit geschlossenen Augen hörte es sich so an, als ob aus Tausenden Kehlen „Allez, DSB!“ geschrien wurde. Allez, DSB!

Tag 8 - 30.07.2024: In the Heat of Paris 2024

Klar, es sind die Olympischen Spiele, der wichtigste Wettbewerb weltweit. Und deshalb ist klar, dass es bei den Wettkämpfen heiß hergehen wird. Aber doch nicht so bitteschön.

Bereits in Paris beim Teamwettkampf der Frauen saß ich auf der Pressetribüne und schwitzte mir einen ab. Natürlich war ich mit reichlich Sonnencreme eingeschmiert - so krass wie das die Koreanerinnen im Gesicht machen, allerdings nicht - dennoch hatte ich gewisse Sorgen um meine Haut. Schließlich habe ich in früheren Jahren längere Zeit Beach-Volleyball gespielt und war den Elementen so einige Zeit ausgesetzt.

Paris war aber ein Klacks gegen Chateauroux heute. Bereits um 9.30 Uhr zum Start des Wettkampfes von Trapschützin Kathrin Murche war es in der Sonne kaum auszuhalten – und Schattenplätze rar gesät. Mittags wurde es brutal: Die Pressetribüne leer, alle Kollegen standen im Mini-Schatten, den Container oder die Tribüne warfen. Athletinnen und Athleten liefen mit Eispackungen auf dem Kopf herum, die Wasserspender hatten Hochkonjunktur, die Sanitäter liefen das ein oder andere Mal an mir vorbei, der Schweiß lief den Rücken herunter.

Da heißt es: Cool bleiben und die Bedingungen akzeptieren. Für Murche bedeutet dies – O-Ton Bundestrainer Uwe Möller: „Je wärmer es wird, umso geiler hat sie geschossen!“ – für mich: Weiter in die Tasten hauen, bis diese glühen! Allez, DSB?

Tag 7 - 29.07.2024: Von hohen Tieren und hohen Preisen

Dass die Olympischen Spiele im benachbarten Frankreich stattfinden, ist für die deutschen Sport-Fans ein Segen: Zahlreiche Deutsche - und natürlich auch viele Gäste aus anderen Nationen - sind in Paris und auch Chateauroux anzutreffen, um die weltbesten Sportlerinnen und Sportler hautnah zu erleben und die olympische Atmosphäre zu genießen.

So auch ein paar Kumpels von mir, die sich nach Paris aufgemacht haben. Nach dem Bogen-Teamwettbewerb war ich noch in Paris geblieben und hatte mich mit ihnen getroffen. Am Eiffelturm genossen wir das savoir vivre in einem Café, wobei die 13 Euro für ein Bier (0,5 Liter) wehtaten (und ich bei jedem Schluck dachte: das war wieder ein Euro). Überhaupt die Preise: Meine Freunde lassen sich den Paris-Trip ganz schön etwas kosten: Handball 150 Euro (zwei Spiele), Tennis 150 Euro (zwei Spiele), beim Volleyballmatch haben sie ein Schnäppchen gemacht mit 80 Euro für ein Spiel. Und auch der gestrige Teamentscheid im Bogenschießen der Frauen hätte meinen Kumpel 150 bis 450 Euro gekostet… Und Anreise und Unterbringung kommen natürlich auch noch dazu.

Da lobe ich mir meine Presse-Akkreditierung. Das Zauberwort hat nur drei Buchstaben und öffnet mir alle Türen: ALL! D.h. ich bin für alle Sportarten zugangsberechtigt, nur für sogenannte High Demand-Veranstaltungen, z.B. 100m Lauf, Basketball-Finale und Eröffnungsfeier hätte das nicht ausgereicht. So bin ich einmal schnell zu meiner „alten Liebe“ Beach-Volleyball direkt am Eiffelturm gehuscht und wer steht neben mir: Boris Becker. Auf die Frage, ob wir ein gemeinsames Foto machen könnten, musste ich sagen: „Habe leider keine Zeit!“ (Stimmt nicht ganz, er sagte: „Jetzt bitte nicht!“). Und so schlenderten „das Bobbele“, Zigarillo rauchend, und der DSB-Pressereferent hintereinander weg.

Überhaupt, der Promi-Auflauf in Paris ist natürlich riesig: Tom Cruise war in der Turnhalle und feuerte US-Star Simone Biles an, und der „Herr der Ringe“, IOC-Präsident Thomas Bach, ist natürlich auch überall. Am 28. Juli im Bogenstadion, tags darauf in Chateauroux beim Sportschießen. Sowohl die DSB-Athleten in Paris als auch DSB-Präsident Hans-Heinrich von Schönfels tauschten sich mit Bach aus. Und wenn ich es mir recht überlege, hätte Bach mich eigentlich auch mitnehmen können, wir haben ja die gleiche Reiseplanung. Allez, DSB!

Tag 6 - 28.07.2024: Ein Pressesprecher in Frankreich

Obwohl ich mich Pressereferent bzw. Pressesprecher des Deutschen Schützenbundes schimpfe, habe ich es mit Sprachen nicht so. Zumindest mit den Fremdsprachen. Gut, auf Englisch kann ich mich verständigen, schlacker aber mit den Ohren, wenn ich auf „Native-Speaker“ treffe und die frei von der Leber weg extrem schnell ihre Konversation starten. Mit der französischen Sprache ist es (leider) noch viel schlimmer. Ich gebe es an dieser Stelle zu: Ich hatte Französisch-Leistungskurs (musste ich damals wegen der Konstellation nehmen), kann die wunderschöne, melodische Sprache aber kein Stück mehr. Pardon, Monsieur Lingens, Monsieur Nicklaus et Madame Nierichlo – so hießen meine Lehrer damals.

Das Wunderbare ist aber: So ganz weit hinten in einem Areal des Hirns müssen noch ein paar Französisch-Fragmente verankert sein. Ich höre Wortfetzen, die ich in meinem Leben irgendwie schon einmal vernommen oder sogar zu Papier gebracht habe. Und ich war stolz, dass ich meine Bestellung in der Pizzeria auf französisch stammeln konnte (ok, un und une und le und la habe ich nicht mehr drauf).

In Chaterauroux kommt hinzu, dass es auch einige Helfershelfer gibt, die der deutschen Sprache mächtig sind und mir das Leben so vereinfachen: Da ist Andreas, ein Schweizer, der in Kolumbien lebt und früher einer der Sprecher von FIFA-Präsident Joseph Blatter war und nun im TV-/Presse-Bereich in Chateauroux arbeitet. Da ist Brigitte, die mir im Shuttle charmant lächelnd erzählt, dass sie Deutsch-Lehrerin ist und mir im Fall der Fälle helfen kann. Und da ist ein weiterer junger, deutscher Mann, der bei einem der Sponsoren (Namen darf ich nicht nennen) angestellt ist und einen der wenigen ausgelobten Volunteerplätze in einem internen Wettbewerb „gewann“. Le petit Thilo ist also nicht allein auf weiter Flur, und die Fotografin Nathalie, die uns mit Bildern zuarbeitet, sagte in einer ersten Mail: „Nach ein paar Tagen werden wir französisch miteinander sprechen!“ Da sage ich nur: Allez, DSB!

Tag 5 - 27.07.2024: Die ISSF denkt groß

Der Schießsport ist bei Olympischen Spielen der Neuzeit von Beginn an dabei. Wohl auch, weil Baron Pierre de Coubertin Pistolenschütze war. Nun ist es aber so, dass der gute Baron nicht mehr das Sagen hat, welche Sportarten alle vier Jahre zum olympischen Kanon dazu gehören. Das diktieren vor allem Klicks, Einschaltquoten, Universalität und, und, und.

Und der Schießsport muss kämpfen, um nicht irgendwann von der olympischen Bildfläche zu verschwinden. Auch, weil der Weltverband ISSF nicht immer ein gutes Bild abgab und unter russischer Führung nicht unbedingt Pluspunkte sammelte. Das hat die aktuelle ISSF-Führung erkannt und diverse Maßnahmen ergriffen: Kurz vor den Spielen bekam die Internetseite (endlich) einen neuen Anstrich, auf Social Media wird eifrig gepotest und im Vorfeld der Spiele wurden spannende Videos auf YouTube gezeigt, die die Disziplinen und Stars präsentieren.

Und auch in Chateauroux setzt der Weltverband ein Zeichen: Erstmals in der olympischen Ära gibt es ein sogenanntes ISSF Haus, in dem jeden Abend Sportler, ehemalige Top-Stars wie die mehrfachen Olympiasieger Niccola Campriani (ITA, Gewehr) oder Kimberly Hill (USA, Skeet), Funktionäre, Partner und Medien zusammenkommen, um sich auszutauschen und sich und den Sport zu feiern. Dabei hat sich die ISSF nicht lumpen lassen, wie ich am Tag der Eröffnungsfeier – dies war auch der Startschuss für das ISSF Haus – feststellen konnte: Präsident Luciano Rossi zerschnitt stilvoll das rote Band, danach ging es in die geschmackvoll eingerichteten Räumlichkeiten: Medienraum für Interviews, große Bildschirme für die Übertragungen, ein Raum für VR-Erfahrung (Virtual Reality Schießsport) und natürlich Musik und leckeres Essen.

Dies gibt Hoffnung (und war auch meinem ausgehungerten Magen zuträglich), denn der Schießsport hat zumindest bis einschließlich Los Angeles 2028 eine gesicherte olympische Zukunft. Und in den USA wird der vielgeschätzte Campriani als Wettkampf-Direktor für den Schießsport fungieren – es sind richtige und wichtige Schritte, und der gute Baron hätte seine Freude daran.

Tag 4 - 26.07.2024: Wir werden Olympiasieger

Jeder kennt sie, viele machen mit: Tipprunden bei Großereignissen. Zuletzt bei der Fußball-EM in Deutschland, nun natürlich auch für die Olympischen Spiele in Paris. Die Frage: Wie viele Medaillen holt das deutsche Team. Natürlich gibt es so eine Tipp-Abgabe auch in der internen Gruppe des Deutschen Schützenbundes. Da geht es von einer Medaille bis zu elf Medaillen. Die Namen des Pessi- bzw. Optimisten bleiben natürlich unter Verschluss.

Und auch die großen Medien versuchen sich. Die BILD-Zeitung spricht von 18 deutschen Goldmedaillen und rechnet fest mit Doreen Vennekamp und gibt auch Christian Reitz eine sehr gute Chance, und die Bogen-Frauen als Weltmeisterinnen wären auch ein heißer Tipp. Die L´Équipe, die bekannte französische Sport-Tageszeitung, hat sich die Mühe gemacht, alle (!) olympischen Wettbewerbe durchzutippen. Die Redakteure selbst schreiben von einem „gefährlichen Spiel“, da teilweise Gegner und Duell noch nicht feststehen - machen es dann aber doch. Et, voilà: Die Franzosen sprechen der deutschen Gesamtmannschaft zwölfmal Gold zu, Doreen Vennekamp ist wieder dabei. Zudem gibt es noch Silber für Anna Janßen (Luftgewehr und KK-Dreistellungskampf) und Luftpistolen-Mixed sowie Bronze für Robin Walter (Luftpistole), Christian Reitz (Schnellfeuerpistole), Josefin Eder (Sportpistole), Kathrin Murche (Trap). Damit könnte ich gut leben, nur unsere Bogenschützen fahren unter dem französischen Radar – ist vielleicht aber auch nicht das Schlechteste. Und wie sagt einst ein berühmter Bundestrainer: „Entscheidend ist an der Schießlinie!“ Oder so ähnlich.

Doch bevor es losgeht, beginnt die große Show: Unser Bogen-Quartett wird an der Eröffnungsfeier auf der Seine teilnehmen, die Schützen in Chateauroux werden sich um einen Fernseher versammeln und wahrscheinlich mit einer Träne das Ganze aus der Ferne verfolgen. Den Fernseher bringt Sportdirektor Thomas Abel höchstselbst heute aus Paris mit (neben einer Kaffeemaschine - und ich darf auch mit) und zeigt sich zudem solidarisch mit den Chateauroux-lern. Und natürlich hätte er nichts dagegen, wenn es beim ersten olympischen Wettkampf – dem Luftgewehr Mixed – auch etwas zu bejubeln gibt. Aber da waren wir schon (siehe oben), lasst die Spiele beginnen. Allez, DSB!

Tag 3 - 25.07.2024: Eine Zugfahrt, die ist lustig…

Laut Google-Übersetzer heißt es so melodisch: „L'oiseau en avance attrape le ver.“ Und bedeutet: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“ Um 5.15 Uhr klingelte heute mein Wecker, weil es für mich erstmals nach Paris ging zur Qualifikation unserer Bogenschützen. Und um endlich einmal eine Lanze für die deutsche Bahn zu brechen: Die Franzosen sind keinen Deut besser! Um 6.14 Uhr sollte mein Zug vom Bahnhof in Chateauroux nach Paris abfahren, mit 23 Minuten Verspätung setzte er sich in Bewegung – die Zeit vertrieb ich mir mit einem französischen Frühstück: Croissant und Espresso.

Dafür wurde ich am Zielort in Paris entschädigt: Superfreundliche Helfer, die mir zum einen den Weg wiesen und zum anderen die Türen zur Metro öffneten. Denn um das Transportsystem zu nutzen, reicht die einfache Akkreditierung nicht aus, man benötigt noch eine Transportkarte, die mir später dann Teilmannschaftsleiter Thomas Abel überreichte. Im Gegenzug erhielt er von mir die DSB-Pins für das Bogenteam sowie die „Auswärts-T-Shirts“. Jede Nation muss zwei verschieden farbige T-Shirts haben, damit es in den Duellen keinen Farbeinheitsbrei gibt.

Wegen der Verspätung verpasste ich den Start der Qualifikation der Frauen, was aber nicht weiter schlimm war, denn per Olympia-App sind die Ergebnisse blitzschnell zu erfassen. Das Bogengelände liegt wirklich im Herzen von Paris, hinter dem riesigen Stadion ist der Invaliden-Dom, über der gigantischen Zuschauertribüne kann man so gerade noch einen Blick auf den Eiffelturm erhaschen. Und auf zahlreiche Sicherheitskräfte. Überall schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten - die Eröffnungsfeier, die nur unweit des Bogengeländes am 26. Juli auf der Seine stattfindet, wirft zweifellos ihre Schatten voraus. Es ist schon traurig, dass ein solches Happening unter diesen Umständen steigt, aber leider wohl unumgänglich in diesen Zeiten.

Für mich endet der Tag mit einem gemeinsamen Abendessen mit Reinhard Kisselbach. Der Tuner und Co-Trainer der Bogentruppe hat in Paris über den DSB eine Airbnb-Wohnung bezogen und gestattet mir, das Schlafsofa in Beschlag zu nehmen. Auf meinen Hinweis, dass ich am Morgen gerne das Frühstück ans Sofa hätte, lächelte er nur müde. Man kann halt nicht alles haben. Allez, DSB!

Tag 2 - 24.07.2024: „Entlein“ oder „Schwan“?

Paris, haben sie gesagt! Weltmetropole! Stadt der Liebe! Savoir vivre bei den Olympischen Spielen! Rien! Ich bin in Chateauroux gelandet, einem 43.000 Einwohner-„Nest“ knapp 270 Kilometer südlich von der pulsierenden französischen Hauptstadt entfernt. Wenn ich wenigstens Pressereferent der Surfer wäre, dann würde ich jetzt von Tahiti berichten…

Okay, dann eben Chateauroux – unsere Athletinnen und Athleten in den Kugel-Disziplinen müssen sich auch damit abfinden und klarkommen. Und vielleicht verbirgt sich hinter dem „hässlichen Entlein“ ja auch ein „wunderschöner Schwan“. Die Schießanlage macht auf jeden Fall einen olympischen Eindruck, alles ist herausgeputzt, auch wenn – drei Tage vor dem ersten olympischen Wettkampf – immer noch geschraubt und getackert wird. Imposant ist die Tribüne am Flintenstand, die einer vierstelligen Zahl an Zuschauern Platz bietet, die Finalhalle für die Gewehr- und Pistolen-Disziplinen ist zuschauertechnisch etwas klein geraten.

Auf dem Gelände herrscht natürlich Sicherheitsstufe eins, d.h. es gibt zig Schleusen, der Kleinbus des deutschen Teams wird mit Unterbodenspiegeln geprüft usw., dennoch ist es aktuell noch möglich, Fotos zu machen und in den ein oder anderen Bereich zu kommen, der evt. nicht für einen einfachen Journalisten gedacht ist… Die Pins für die 13 Athleten und Trainer habe ich auch an Teilmannschaftsleiter Michel Gomez-Krämer übergeben, diese sind wertvolle Tauschware und könnten auch mal einen Parkplatz sichern. Was schön und auffällig ist: Alle Volunteers sind sehr freundlich und werfen einem strahlend ein paar Deutsch-Brocken entgegen, sobald sie feststellen, dass der Journalist aus Allemagne kommt. Allez, DSB!

Tag 1 - 23.7.2024: Acht Stunden mit einem Schrecken

7.20 Uhr, perfekter Sitz, allez DSB! Heute startete meine Reise zu den Olympischen Spielen, ich habe mich von Rüsselsheim auf nach Frankreich gemacht. Nach 840 Kilometern, drei Mautstellen, zwei geplanten und einem ungeplanten Halt bin ich nach acht Stunden Fahrtzeit in meiner Unterkunft in Chateauroux angekommen. Dabei gab es definitiv einen ersten „Aufreger“: Denn der unfreiwillige Halt hieß Henri: Der ältere Herr – evt. etwas verwirrt – sprang, als ich 150 Kilometer vor meinem Zielort war, auf die Autobahn (!). Mehrere Vollbremsungen und wildes Hupkonzert der Autofahrer, einer blieb stehen und nahm den Clochard mit… Leider konnte ich sein genuscheltes Französisch kaum verstehen, mein Schul-Französisch ist auch nicht tauglich, Englisch war auch keine Basis. Dementsprechend lief die Verständigung mit Händen und Füßen und dem ein oder anderen Lachen und Kopfnicken. 50 Kilometer nahm ich ihn mit, lud ihn dann an der nächsten Mautstelle aus, gab ihm noch einen Müsliriegel (Wasser wollte er nicht) für seine hoffentlich glimpflichen Weiterreise. Verschnaufen war aber nicht angesagt, jetzt galt es, die Pre-Valid-Card in meine offizielle Akkreditierung umzutauschen. Dazu musste ich zur olympischen Wettkampfstätte, die mit dem Auto ca. 20 Minuten Fahrtzeit entfernt ist. Nach Überprüfung meiner Personalien ließen mich die Soldaten ausnahmsweise auf das Gelände fahren, das ein riesiges Areal ist. Vom Parkplatz zu den Wettkampfstätten ist es ein gefühlter Ein-Kilometer-Marsch. Dann wird man aber entschädigt: Zwar wird überall noch geschraubt und gehämmert, aber es ist schon offensichtlich, dass hier etwas Großes passiert. Allez, DSB!